2 Ob 189/20p
Im Zusammenhang mit Vermächtnissen gilt folgende Reihenfolge der Befriedigung von Gläubigern einer Verlassenschaft: Zuerst werden sonstige Verlassenschaftsgläubiger (der Vermächtnisnehmer ist selbst auch ein Gläubiger) befriedigt, dann die Pflichtteils- und Unterhaltsberechtigten. Sofern die Verlassenschaft dann noch hinreicht, werden Vermächtnisse erfüllt.
Eine Sonderregelung sieht § 764 Abs 2 ABGB vor: hier normiert der Gesetzgeber eine Beitragspflicht der Vermächtnisnehmer zur Pflichtteilsdeckung. Wird der Pflichtteil durch eine Schenkung (unter Lebenden) oder durch eine letztwillige Zuwendung nicht gedeckt, so kann der Erbe, auch wenn die Verlassenschaft grundsätzlich hinreicht, die Vermächtnisse kürzen. § 764 Abs 2 ABGB statuiert eine materielle Beitragspflicht der Vermächtnisnehmer, regelt also die Frage, wann und in welchem Ausmaß die Vermächtnisnehmer die Erben bei der Pflichtteilsdeckung zu entlasten haben.
Zur Kürzung von Legaten sind grundsätzlich die Erben berufen. Diese haben die gekürzten Vermächtnisse auszufolgen oder können, bei ungekürzt ausgefolgten Vermächtnissen, das zu viel Geleistete zurückfordern. Im Umfang der Beitragspflicht besteht dann ein Rückforderungsanspruch in Geld (Bereicherungsanspruch nach § 1431 ABGB).
Ein Pflichtteilsberechtigter kann nicht unmittelbar gegen den beitragspflichtigen Vermächtnisnehmer vorgehen, er hat seine Forderung gegen die Verlassenschaft beziehungsweise gegen die Erben zu richten. Möglich ist es aber, dass er den Rückforderungsanspruch des Erben pfänden und sich überweisen lässt.
Einzig in dem besonderen Fall, in welchem der verkürzte Pflichtteilsberechtigte gleichzeitig Erbe ist, kann er vom Vermächtnisnehmer direkt die Pflichtteilsergänzung durch Kürzung des Vermächtnisses verlangen. Diese Klage kann schon während des Verlassenschaftsverfahrens geltend gemacht werden.