2 Ob 124/20d
Mit Veröffentlichung der Entscheidung 2 Ob 218/19a ging ein Raunen durch die Notariatskanzleien Österreichs. Der OGH sprach in dieser Entscheidung – zwar nicht zum ersten Mal – jedoch mit aller Nachdrücklichkeit über die Formerfordernisse letztwilliger Verfügungen ab, welche aus mehreren Blättern bestehen.
Nach der Rechtsprechung des Höchstgerichts muss entweder ein innerer Zusammenhang zwischen den losen Blättern bestehen oder äußere Urkundeneinheit gegeben sein. Ein innerer Zusammenhang wird beispielsweise hergestellt durch Fortsetzung des Textes auf den einzelnen Blättern, aber auch durch einen Vermerk auf dem zusätzlichen Blatt mit welchem auf die letztwillige Verfügung Bezug genommen wird. Äußere Urkundeneinheit ist gegeben, wenn die einzelnen Bestandteilte so fest miteinander verbunden werden, dass die Verbindung nur mit Zerstörung der Urkunde gelöst werden kann, wie z.B.: beim Binden, Kleben oder Nähen der losen Blätter. Dieser äußere Zusammenhang muss entweder vor Unterschriftenleistung des Erblassers und der Zeugen oder aber während des Testiervorgangs (uno actu mit diesem) hergestellt werden.
In 2 Ob 218/19a sprach der Oberste Gerichtshof noch aus, dass die Unterfertigung des Testaments im Krankenhaus mit anschließender Übergabe der losen Blätter an den Notar, welcher die Blätter nach Rückfahrt in seine Kanzlei nähen ließ, keine äußere Urkundeneinheit darstellte.
Nun aber machte der OGH in 2 Ob 4/21h wieder einen Schritt zurück: Er erkannte zu Recht, dass die Herstellung der äußeren Urkundeneinheit während des Testiervorgangs so verstanden werden müsse, dass auch die Verbindung der losen Blätter im unmittelbaren Anschluss an die Unterfertigung hergestellt werden kann – ohne der Formgültigkeit einen Abbruch zu tun. Im Anlassfall wurde ein Testament in einer Notariatskanzlei errichtet und die losen Blätter unmittelbar nach Unterfertigung vom Notar einer Kanzleimitarbeiterin zum Nähen übergeben. In dieser Entscheidung wird der Vorgang des Testierens (zeitlich) weiter ausgelegt und es somit als ausreichend angesehen, wenn die äußere Urkundeneinheit im unmittelbaren Anschluss an den eigentlichen Testierakt hergestellt wird.
Es ist ein Schritt zurück dahingehend, dass die strengen Formerfordernisse fremdhändiger letztwilliger Verfügungen ein Stück weit abgemildert werden. Für die notarielle Praxis ist es hingegen eine willkommene Bestätigung, dass die langjährige Übung des Nähens von Testamenten direkt nach Unterfertigung nicht zur Ungültigkeit letztwilliger Verfügungen führt und insofern nicht nur ein – sondern sogar zwei Schritte vorwärts.